Sowohl die Europäische Zentralbank (Final Guide on Climate-related and Environmental Risks for Banks 11/2020, Detailed Roadmap of Climate Change-related Actions 08/2021) als auch die EBA (Report on Management and Supervision of ESG Risks for Credit Institutions and Investment Firms 06/2021) und die BaFin (Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken 11/2019) definieren zunehmend die aufsichtsrechtliche Erwartungshaltung an Banken, Nachhaltigkeitsrisiken in die Risikomodellierung der klassischen Risikoarten, u.a. Kreditrisiko, zu integrieren. Hierbei wird herausgestellt, dass Nachhaltigkeitsrisiken keine eigene Risikoart darstellen, sondern als Risiko innerhalb der bekannten Risikoarten zum Tragen kommen. Dabei durchläuft der Einfluss der Nachhaltigkeitsrisiken den bereits bekannten klassischen Risikosteuerungskreis mit einem grundlegenden Unterschied. Bisher orientierte sich die Risikoidentifikation und -bewertung an der Annahme, dass die Vergangenheit der beste Schätzer für das zukünftige Risiko darstellt. Diese Annahme trifft für die Nachhaltigkeitsrisiken nicht zu. Somit basiert die Identifikation und Bewertung zusätzlich auf einer Zukunftsperspektive („Forward Looking“) und wird auf Basis von Szenariobildung und ihrem resultierenden Einfluss auf die Modellierung in die bisherige Bewertung integriert.
Im Rahmen der Modellierung sind die Datenanforderungen festzulegen und deren Bereitstellung bestmöglich zu gewährleisten. Nach der Identifikation und Bewertung des adjustierten Kreditrisikos ist darauf aufbauend eine entsprechende Überwachung und Steuerung sowie ein Reporting im Rahmen der Risiko- und Gesamtbanksteuerung zu implementieren.
Die Szenariobildung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich auf Basis von einer Vielzahl von Annahmen sowohl globale gesamtgesellschaftliche als auch regions- oder branchenspezifische Kennzahlen (KPIs) in der Zukunft entwickeln. Das Ergebnis eines Szenarios ist die Projektion diverser KPIs in die Zukunft, beispielsweise Bruttoinlandsprodukt, CO2-Emissionen, Investitionen in Energieinfrastruktur oder auch der Energiemix. Da sich verschiedene Zusammenschlüsse aus der Wissenschaft, aber auch aus dem Zentralbanken- und Aufsichtsumfeld mit dieser Fragestellung auseinandersetzen und sogenannte Standardszenarien entwickeln, könnten Banken auch diese Szenarien nutzen und sind aktuell noch nicht verpflichtet, eigene zu entwickeln. Insbesondere das „Network for Greening the Financial System“ (NGFS) – ein Zusammenschluss von Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden – stellt verschiedene Szenarien aus dem akademischen Umfeld samt Daten zur Verfügung. Banken mit einem sehr spezifischen und komplexen Portfolio haben über die Entwicklung eigener Szenarien als Ergänzung oder Ersatz zu entscheiden.
Die NGFS Szenarien lassen sich entlang der beiden Risikodimensionen Transitions- und Physische Risiken darstellen:
Unabhängig davon, ob eine Bank auf Standardszenarien zurückgreift oder eigene Szenarien entwickelt, sind zwei modelltheoretische Komponenten für jedes Szenario unabdingbar - eine Eintrittswahrscheinlichkeit und die Korrelation mit anderen genutzten Szenarien. Nur mit diesen beiden Kennzahlen ist eine angemessene Auswirkung auf das Kreditrisiko modellierbar. Das gilt sowohl für den erwarteten Verlust, dessen Parameter Ausfallwahrscheinlichkeit und Ausfallverlustquote Nachhaltigkeitsrisiken ausgesetzt sind, als auch für den unerwarteten Verlust, dessen Ausfallverteilung stark von Nachhaltigkeitsrisiken betroffen sein könnte. Beispielsweise könnten sehr extreme Szenarien je nach Eintrittswahrscheinlichkeit einen starken Einfluss auf den Rand der Verteilung nehmen.
Aufgrund der Tatsache, dass die Szenarien stark auf Annahmen basieren und sich die Datenlage aus dem Nachhaltigkeitsumfeld sehr dynamisch gestaltet, ist eine fortwährende Qualitätssicherung beziehungsweise Validierung der Szenarien vorzunehmen. Diese sollte laufend in den bisherigen Validierungsprozess integriert werden und als Ergebnis aktuelle Eintrittswahrscheinlichkeiten und Korrelationen liefern.
Eine große Herausforderung ist die Identifikation, Beschaffung und Bereitstellung von Nachhaltigkeitsdaten. Durch die Erwartungshaltung der vollen Integration in die Risikomodellierung entsteht ein Datenbedarf, der eine Vielzahl von Banken unerwartet trifft. Die Nachhaltigkeitsszenarien, die Banken künftig verwenden werden, beantworten zumindest die Frage der Datenidentifikation, da sich die verschiedenen Datenanforderungen aus den Szenarien ableiten lassen.
Ein illustratives Beispiel ist die Entwicklung von Energiepreisen und Investitionen in die Energieinfrastruktur. Werden diese Daten aus dem Szenario heraus geliefert, stellt sich die Frage der Betroffenheit der Kontrahenten. Dafür sind die CO2-Kosten von Unternehmen zu ermitteln (wiederum auf Basis getroffener Annahmen). Diese Kostenstruktur bestimmt, inwieweit ein Kontrahent dem Risiko der CO2-Kostenentwicklung ausgesetzt ist.
Der zweite Aspekt der Datenanforderungen besteht folglich in den kontrahentenspezifischen Daten. Diese müssen sukzessive in den nächsten Jahren bei der Kreditvergabe bei den Kontrahenten selbst erhoben oder durch andere Quellen bereitgestellt werden. Unabhängig davon sind Daten von externen Anbietern einzubeziehen und darauf aufbauend Datenschätzungen vorzunehmen, mindestens solange die erforderlichen Daten für das Bestandsgeschäft nicht vorliegen. Diese Datenschätzung ist allerdings ausdrücklich nur eine temporäre Lösung, bis eine ausreichende Datenlage – auch mit Hinblick auf die Datenhistorie - vorliegt.
Damit erfolgt die Datenbereitstellung einerseits aus dem Datawarehouse für interne Daten, die zukünftig bei der Kreditvergabe erfragt oder bei Bedarf geschätzt werden, um diese Datenlücken zu schließen und andererseits mittels externer Datenanbieter, die den Output der ausgewählten Szenarien liefern. Die externen Daten umfassen im Idealfall auch Korrelationen und Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien.
Aus Gründen der Konsistenz und der aufsichtlichen Anforderungen einer Integration in die bestehenden Risikoarten, stellt sich die Frage, ob die szenariobasierten KPIs – das Ergebnis der Szenariobildung – als unmittelbare Risikofaktoren in die Kreditrisikomodellierung einfließen, oder ob die Nachhaltigkeitsfaktoren mittelbar über bestehende Risikofaktoren Teil der Modellierung sind.
Die direkte Szenarioanalyse bindet ESG-Risikofaktoren unmittelbar als Risikotreiber in die Modellierung ein. Das bedeutet beispielsweise, dass die CO2-Kosten einen Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeit haben können. Die indirekte Szenarioanalyse quantifiziert den Einfluss der ESG-Risikofaktoren nur auf die bestehenden Risikotreiber. Es wird beispielsweise ermittelt, wie sich ESG-Risikofaktoren auf die Verschuldungsquote oder den Loan-To-Value (LTV) auswirken. Über die Verschuldungsquote wird direkt die Ausfallwahrscheinlichkeit bzw. über den Loan-To-Value (LTV) der Sicherheitenwert und damit die Ausfallverlustquote beeinflusst. Diese wirken sich wiederum auf den erwarteten Verlust und somit auf die Kreditrisikostandardkosten bzw. auf den unerwarteten Verlust und damit auf die Eigenkapitalkosten aus.
Eine wesentliche Änderung in der Modellierung stellt die Verbindung der Daten auf der zeitlichen Ebene dar. Ohne die Integration von Nachhaltigkeitsrisiken werden derzeitig Daten aus der Vergangenheit benutzt, um Kreditrisiken in der Zukunft zu modellieren. Die Validierung findet mittels der aktuellen Daten (eventuell mit leichter Zeitverzögerung) statt. In einem integrierten Bonitätsrating werden zusätzlich mittels aktueller Daten Szenarien und deren zukünftige Auswirkungen auf Risikofaktoren modelliert und die Szenarien basierend auf aktuellen Daten validiert. Damit wird der etablierte Backward Looking Ansatz durch ein Forward Looking in der Modellierung ergänzt. Bisher wurde dieser Forward Looking Ansatz nur im Rahmen des Stresstestings genutzt.
Aufgrund der mit den Szenarien verbundenen Unsicherheit und fehlender Empirie werden insbesondere qualitative Daten und Experteneinschätzungen kurzfristig an Relevanz gewinnen. Es ist daher unverzichtbar, für die Modellierung einen Ansatz zu wählen, der eben diese angemessen einbezieht. Eine Option ist hierbei die Bayes’sche Regression, die sowohl quantitative als auch qualitative Daten in der Modellierung zulässt.
Die letzte Komponente des integrierten Bonitätsratings stellt die Risiko- und Gesamtbanksteuerung dar. Neben einem möglichen ESG-Steuerungskreis (hier Link zu Artikel einfügen), werden Nachhaltigkeitsrisiken in der Gesamtbanksteuerung Einfluss auf die Margenberechnung und das Limitsystem nehmen.
In der Margenberechnung bleibt die aktuelle Berechnung und die Zusammensetzung grundsätzlich bestehen. Es wird Margenelemente ohne ESG Einfluss neben bekannten Elementen mit ESG Einfluss geben, und es ist auch eine „reine“ ESG-Komponente denkbar. Diese Komponente kann je nach Ausgangslage und Ausgestaltung positiv oder negativ ausfallen und berechnet sich nicht nur an den Nachhaltigkeitsrisiken, denen sich der Kontrahent ausgesetzt sieht, sondern die Berechnung kann auch einen strategischen Einfluss der ESG Steuerung der Bank beinhalten. Diese Komponente dient dann auch, um beispielsweise Risikokonzentrationen im Bereich ESG und Reputationsrisiken zu steuern.
Das Limitsystem der Bank erhält ebenfalls eine zweite Dimension. Neben der reinen Fokussierung auf die bekannten Risikokomponenten ist die Steuerung eines ESG-Steuerungskreises im Wesentlichen von einer simultanen ESG-Komponente abhängig.
In den hier augeworfenen Fragestellungen kann SKS Sie beispielsweise unterstützen bei:
Weitere Informationen: Offenlegung von ESG-Risiken sowie Sustainable Finance & ESG-Reporting.
Director Risk Advisory
Oliver Brandt leitet bei SKS den Bereich Risk Advisory in partnerschaftlicher Kooperation mit den anderen Unternehmensbereichen. Als Mathematiker beschäftigt er sich seit über zwanzig Jahren mit Themen im Risikomanagement der Finanzbranche und war für Beratungshäuser, Softwarehersteller und als selbstständiger Unternehmer tätig. In den letzten Jahren legte er seinen Fokus intensiv auf die Themen Digitalisierung, Entwicklung von Methoden Künstlicher Intelligenz sowie von KI-Modellen.